-Eine Vereinschronik von Ernst Henze
Ein seltenes Jubiläum, kein zufälliges Geschenk der Zeit, sondern 90 Jahre Freude an der Musik als Belohnung für Einsatzbereitschaft, Motivation, Solidarität und Kameradschaft. Musik machen in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft. Die Gemeinschaft für die Musik begeistern und dabei das Gefühl verspüren, mit den Darbietungen der Musik die Zuhörer zu beglücken. Mit dem Rückblick auf die vergangene Zeit von 90 Jahren soll der Versuch unternommen werden, den genannten Idealen die Lebendigkeit der 90 abgelaufenen Jahre einzuhauchen, denn hinter den 90 Jahren Musik stehen auch viele Menschen, die sie produziert haben und es immer noch tun.
Die Gründung
1911 steckten zwei Lehrer die Köpfe zusammen: Ernst Horchler (seit 1908) und Wilhelm Rode (seit 1911) waren an den Langenthaler Schulen tätig. Es gelang ihnen ein großer Wurf: Sie schafften es, mit 13 Schülern einen Spielmannszug mit Pfeifern und Trommlern zu bilden. Zeitgleich liefen die Bestrebungen, einen Turnverein ins Leben zu rufen, mit Erfolg.
Bemerkenswert ist, dass dem Turnverein schlagartig 20 aktive Mitglieder beigetreten sind. Welch ein Zufall, dass zur gleichen Zeit zwei Angehörige der „Kaiserlichen Garde zu Berlin“ ihre aktive Zeit des Wehrdienstes (in diesem Fall Angehörige des „Kaiserlichen Musikkorps“) beendeten und vollgepackt mit höchsten Idealen als Tambour/Pfeifer und Trommler in ihr Heimatdörfchen zurückkehrten. Im Dorf waren sie als „Klappen-Karl“ (Tambour und Pfeife) und „Riesen-Julius“ (Trommler) bestens bekannt. Die streng militärischen Tugenden, die diese beiden mitgebracht haben, nämlich Drill, Schliff, Schneid, fielen hier auf fruchtbaren Boden. Der Parademarsch, für beide ein Stück tägliches Brot, hielt auf diese Weise Einzug in den Spielmannszug und in das jährlich wiederkehrende Schützenfest. Alsbald nach dem 1. Weltkrieg sind die jungen Männer bereits mit weißen Hosen, gleichartigen Mützen und den Schwalbennestern auf den Jacken im dörflichen Spielmannszug vereint und auf einem Foto festgehalten. Ihre Einsatzbereitschaft, Solidarität, Motivation und Kameradschaft waren prägend und zukunftsweisend.
Von Kirschenmärkten zum Schützenfest Montag
Zum Nachdenken ein sehr interessanter Auszug aus dem Buch „Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen, von Wilhelm Suchier“: Langenthaler Kirschenmärkte „Statt dass wie an anderen Orten im Sommer Schützenhöfe gehalten werden und im Freien getanzt wird, hält man hier zur Kirschenzeit drei Kirschenmärkte und tanzt in einem nicht übrig großen Saale eines dortigen Wirtshauses. Die Kirschen geben zur Lustbarkeit den Namen her, während Bier und Branntwein die eigentliche Erquickung sind. Da drängen sich denn Tanzende und Zuschauer aus den benachbarten paderbornischen Dörfern, aus Helmarshausen, Deißel und Langenthal, wühlen den an dem Fußboden klebenden Staub auf, dünsten merklich aus, schwitzen und kreischen in die, von musikalischen Tönen in harmonische Schwingungen versetzte Luft hinein, dass man sein eigenes Wort nicht hören kann und machen so den Anwesenden den Gebrauch russischer Dampfbäder ganz überflüssig.“ Mal ehrlich: Wer kennt diese spezielle Darstellung aus dem Jahre 1775? Ich kannte sie nicht und dabei bin ich sicher nicht alleine. Als Überlieferung dieses damaligen Brauchtums feiern wir ja in etwa gleicher Form den Montag unseres Schützenfestes. Und der Schützenfest-Montag ist ein besonderes Markenzeichen unseres Musikvereins. Danke dafür, dass wir es heute noch so erleben, wie es vor über 200 Jahren schon gewesen ist. Auch das Feiern schöner Feste will gelernt sein. Man sagt immer, in der Geschichte wiederhole sich alles oder manches. Mir scheint, dass tatsächlich etwas daran sein muss. Jedenfalls unsere ganz besondere Hochachtung den Akteuren bei den damaligen Kirschenmärkten.
Entschlossenheit und Einigkeit
Wieder zurück zur 1. Garnitur: Diese so zu nennende 1. Garnitur hat es geschafft, auf dem Boden der eingangs erwähnten hohen Ideale trotz der wirtschaftlichen und finanziellen Nöten nach dem 1. Weltkrieg am Musikmachen in der Gemeinschaft festzuhalten. Es ist schon bewundernswert, wie ausgeprägt das Bewusstsein der Akteure und deren Klugheit gewesen sein muss, sich an Aufgaben (!) und Pflichten (!) zu orientieren, um daraus ein wenig Freude und Glücklichsein zu schöpfen. In einer Stärke von bis zu 20 Spielleuten hat der Spielmannszug erst einmal 20 Jahre lang sein Wirken bis zur Zwangspause des 2. Weltkrieges unter Beweis gestellt.
Wir wissen ja, Musik stirbt nie und siehe da, die alten Kameraden traten wieder hervor und die bereitstehenden Männer waren hellauf begeistert. Und rasch waren einige Junge dabei und hatten sich unter die Alten gemischt. Es kam Anfang der fünfziger Jahre zu einem gewaltigen Aufbruch der Langenthaler Einwohner in das Vereinsleben der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Turnverein kam zur vollen Blüte. Die 50-jährigen und noch älteren zeigten den jungen Männern wie Handstand am Barren und Riesenwelle am Reck geturnt wurden. Die Frauen schwangen Keulen und die Handballer kämpften verbissen um die Kreismeisterschaften. Eine dorfeigene Kapelle sorgte mit „Barcelona“ für viele schöne Tanzabende. Darüber hinaus besann man sich auf die Kirschenmärkte aus den früheren Jahrhunderten und ließ diese wieder auferstehen. Der Schützenverein wurde zu neuem Leben erweckt. Die abgebrannte Schützenhalle musste wieder aufgebaut werden. Wie war das noch mal mit Einsatzbereitschaft, Motivation, Solidarität, Kameradschaft? Schier unmögliches wurde geschafft – die Krönung war der Erfolg. Ach ja, der Spielmannszug kam auch noch hinzu. Bemerkenswert: Es waren zum großen Teil fast immer dieselben Leute. Die junge Generation drängte nach vorn. Unter der Anleitung der „Alten“ wurde gepfiffen und getrommelt ohne Unterlass. Der alte Tambourmajor verfolgte die Entwicklung aufmerksam im Hintergrund und stellte fest:
Fußspitzen, fast im 90° Winkel zum Körper, als hätte er keinen Bodenkontakt mehr. Einmalig und großartig, einfach bewundernswert. Die Schützenfeste standen uns bevor und damit auch der Parademarsch mit „Klappen-Karl“ und den Schützenkompanien auf dem Festplatz. Also: üben, üben und nochmal üben. Alsbald schon brachte uns unsere Geschlossenheit, unsere straffe Haltung, unser Schmiss und unser Schneid bei unseren Auftritten oft großartigen Erfolg.
"Großer Zapfenstreich"
Es gab viel zu tun, um uns musikalisch fortzubilden, neue Märsche zu erlernen und an den „Großen Zapfenstreich“ heranzutreten. Mit den fachmännischen Anleitungen des damaligen Dirigenten des Kurorchesters Kassel Wilhelmshöhe, Kurt Schnittger, der über Jahre mit seiner eigenen Kapelle unsere Schützenfeste spielte, lernte ich den musikalischen Teil des Spielmannszuges zum „Großen Zapfenstreich“. Damit wir das Kurorchester nicht störten, verschwanden wir beide hinter den dicken Mauern auf der Rückseite des Schlosses Wilhelmshöhe. Mit meinen frisch erworbenen Kenntnissen ging es dann zum Übungsabend. Die Solos oblagen mir mit der Pfeife und Karl Henze mit der Trommel. Wieder einmal waren wir gefordert und haben erstmals den „Großen Zapfenstreich“ gemeinsam mit der Kapelle Schnittger vorgetragen. Der Vortrag war zu dieser Zeit einmalig in unserer Region. Unvergesslich war 1958 unsere Reise in die Schweiz zur gleichnamigen Stadt Langenthal. In der Presse ist hierüber ganz ausführlich berichtet. Ein Zitat aus dem Langenthaler Tageblatt vom 07.10.1958 sei hier erlaubt: (Weil es regnete konnte der gemeinsame Umzug nicht stattfinden.) „Stramm standen sich die „Harmonie“ Langenthal (BE) und die Spielmannsgruppe Langenthal (D) unter dem schützenden Vordach des Hotels „Kreutz“ gegenüber. Und als dann der Tambourmajor – trotz seiner 70 Jahre noch ein Junger – den blitzenden Stab erhob, da ertönten machtvoll die Rhythmen des ersten Marsches, ausgeführt mit echt deutschem Schneid und exaktester Präzision, so dass das Ohr und Auge auf ihre Rechnung kamen. Dann folgte unsere „Harmonie“ mit nicht minderem Schneid, und so begrüßten sich die beiden Langenthal unter Assistenz eines zahlreichen Publikums.“
Entwicklung und Erweiterung
Auch in den 60er Jahren waren wir sowohl lern- als auch steigerungsfähig. Unser Spielmannszug erweiterte sich um 8 Fanfarenbläser. Damit fiel wohl der indirekte Startschuss zur Blasmusik, die sich 1973 erstmals als „Harmonie“ vorstellte. 1966 war auch der Wechsel des Tambourmajors von „Klappen-Karl“ zu Heinz Behrend vollzogen worden. Der wiederum gab den Tambourstab weiter an Werner Busch, ohne sich aber endgültig aus seiner Tätigkeit zu verabschieden, wie uns allen bekannt ist. Im Jahr 2000 leitete er den „Großen Zapfenstreich“ beim Schützenfest, während Werner Busch als Solist wirkte. Die Langenthaler Musik begann mit der Erweiterung zur Blasmusik den Weg in ihre Blütezeit zu beschreiten, während der Spielmannszug daneben bis heute von Sylvia Trender betreut wird. Auf dem neuen Feld gab es sehr viel zu tun. Mit externen und internen Übungsleitern wurde die Qualität der Musik zunehmend verbessert. Einige Namen verdienen genannt zu werden: Walter Seide aus Holzhausen hat über viele Jahre als Übungsleiter gewirkt; Karl Göbel aus Deisel brachte unter anderen die Klarinetten ins Spiel und machte sich um die Ausbildung junger Musiker verdient; sowie Siegfried Besser dessen andauernde Leidenschaft zur Musik ihm über Jahrzehnte die Kraft gab, sein musikalisches Talent auf seine Kameraden zu übertragen. Markus Kuhlmann, Student der Schulmusik, kümmert sich seit Jahren erfolgreich um die „Harmonie“ seiner Heimatgemeinde. Der große Wurf, seine Kameraden zur Aufführung des „Großen Zapfenstreich“ beim Schützenfest 1996 zu befähigen, ist ihm vollends gelungen. Es wird kaum einen „Langenthaler“ geben, der sich dieses ergreifende Ereignis entgehen lassen wird. Diese aus dem musikalischen Repertoire des Spielmannszuges und der Harmonie weit herausragende Darbietung ist ein Beweis für erfolgsgekrönte Einsatzbereitschaft, Motivation, Solidarität und Kameradschaft. Den Solisten Werner Busch (Pfeife), Alfred Kuhlmann (Trommel), und Torsten Henze (Trompete) gebührt besonderer Dank.
"Musik als verbindendes Element"
Nach der Gründung der Harmonie dürfen die besonderen Anstrengungen des Musizierens nicht unerwähnt bleiben. Ganz wichtige musikalische Ereignisse kommen uns ins Gedächtnis:
- Internationales Spielmannszugtreffen am 21. und 22. Juni 1975 in Langenthal: Die Anwesenheit vieler Spielmannszüge und der „Enka-Harmonie“ aus Arnheim (Holland), lassen neben der beginnenden deutsch-holländischen Freundschaft dieses Treffen zu einem besonderen Erlebnis werden. Einige Stichwörter weisen auf den Qualitätsanspruch der gebotenen Musik hin: Konzert der auswärtigen Spielmannszüge u.a. aus Holland, Frankfurt/M. mit musikalischen Show-Vorführungen der Höchster Schlößgarde (Deutscher Meister 1975), der Spielmannszüge aus den benachbarten Gemeinden, Sternmarsch der Musikzüge mit Musikshow und Wertungsspielen.
- Freundschaftstreffen mit dem Musikzug „Samen Voorwaarts“ (Zusammen Vorwärts) aus Waarland`t Veld (Holland): Nach einem wunderbaren zum Teil gemeinschaftlichem Konzert auf dem „Pflanzenplatz“ traf man sich abends im Saale Koch. Hier war ein hervorragendes Konzert der holländischen Freunde zu vernehmen. Unter anderem überbrachte der Vorsitzende des Schützenvereins die Grüße des Vereins und würdigte den soeben musikalisch vorgetragenen „Gruß an die Freundschaft“. Immerhin sprach die HNA in ihrer Kommentierung von der Musik als verbindendes Element auf internationaler Ebene.
"Muschel"-Konzert auf Sylt
In diese Zeit fällt auch der Wechsel des Vorsitzenden des Spielmannszuges: Ewald Alberding hat über Jahre die Aufgaben eines Vereinsvorsitzenden geführt und am Ende dieser Tätigkeit den Vorsitz an Werner Busch weitergegeben. Seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ist Rolf Trender als Abteilungsleiter von seinen Kameraden gewählt worden. Wer Westerland auf „Sylt“ kennt, der weiß was von der „Muschel“. Sage und schreibe marschierte die Harmonie am 18.08.1989 pünktlich um 18.30 Uhr mit dem Bürgermeister der Stadt Westerland, Volker Hoppe, und den Vertretern des Schützenvereins im Gefolge, zur Muschel, dem Musikpavillon an der Westküste der Nordsee. Initiator der „Aktion zur Rettung der Nordsee“ war Karl Baumann aus dem Autohaus „Baumanns Automobile Welt“. Die Aktion war publikumsorientiert und von anhaltendem Beifall einer großen Zahl interessierter Zuhörer begleitet. Rundherum ein großartiges Erlebnis für alle Beteiligten.
Unsere "Alten Kameraden"
Noch ein Wort zu den „Alten Kameraden“ anlässlich des 80. Geburtstages. Mit einer Frage muss man beginnen. Wer denkt schon an die „Alten?“ Von Kameradschaft war die Rede. Bei der 80-jährigen Geburtstagsfeier des Musikvereins hatten die „Alten“ (wohl zum letzten Mal) einen Auftritt. Kein Problem für die Trommler, aber ein großes für die Leute mit den „Dritten“! Es waren vorhanden die Motivation, die Solidarität und auch die Kameradschaft. Nur mit der Einsatzbereitschaft gab es Probleme. Aber trotz allem mit der althergebrachten „Übung macht den Meister“ schafften wir unseren Auftritt, natürlich mit Erfolg wie zu hören war. Seit diesem gelungenen und wunderschönen Fest gibt es die sogenannten „Alten Kameraden“. Sie treffen sich am jeweiligen 30. zum Quartalsende, also vier Mal im Jahr. Inhaltlich ist festzustellen, dass der Blick rasch nach hinten gerichtet wird, was einmal war. Nur einer mahnt „Richtet den Blick nach vorn“! Infolgedessen fahren wir mit der Schleppertour in unsere wunderschöne Umgebung und haben manchmal recht seltsame Erlebnisse gemacht. Übrigens machen wir auch mit unseren Frauen noch ein lauschiges, wohl eher gemütliches Frühlingsfest aber auch eine Busfahrt zu interessanten Zielen. Gemeinsam feiern wir auch unsere runden Geburtstage und singen wie nicht anders zu erwarten ist, das Lied aus dem Marsch „Alte Kameraden“. Die jährlich wiederkommenden Auftritte in unserem Dorf: Sportfest, Teichfest, Schützenfest, Heimatabend, Volkstrauertag, Altentreffen, Weihnachtsgrüße und Karneval und natürlich zu besonderen Anlässen.
"Musik ist die Sprache des Herzens"
Abschlussbetrachtung:
Ich habe versucht, ein knappes Jahrhundert Musikgeschehen in Langenthal darzustellen. Bei der Bearbeitung dieses Themas habe ich alsbald festgestellt, dass wegen der Vielfältigkeit der Ereignisse und Inhalte des musikalischen Lebens nur über die wichtigsten und nur in sehr straffer Weise darüber berichtet werden kann. Mit dem Inhalt der Ausführungen soll auch der Leser zum Nachdenken angeregt werden. Musik machen zu können ist eine besondere Gabe für jeden, der sich daran erfreuen kann, schade um jeden, der sich davon abhalten lässt. Wir alle können uns glücklich schätzen, den Musikverein als exklusiven Kulturträger ersten Ranges in unserer Gemeinschaft zu haben. Musik ist die Sprache des Herzens. In ihrer Vielseitigkeit vermittelt die Musik ein wichtiges Stück der Glückseligkeit, die die Menschen so sehr brauchen. Die Musiker selbst wissen dies und schöpfen aus dieser Erkenntnis die Kraft, in ihrem Engagement nicht nachzulassen. Allen Musikern ein aus der Tiefe des Herzen kommendes Dankeschön. Lasset uns am Alten, so es gut ist, halten – aber auf dem alten Grund, Neues Wirken, jede Stund!